AUGUST 2017
Künstler-Statement
von Axel Teichmann
Mich interessiert der Mensch. Die in meiner Kunst oft singulär dargestellten Personen sind stark in Ausdruck und Schaffenskraft – ja werden gar selbst zum heldenhaften Schöpfer. Großartige Fähigkeiten werden durch technische Artefakte symbolisiert. Immer schwingt ein Wechselspiel aus Veränderung der Umgebung durch den Menschen und der daraus resultierende, rückwirkende Einfluss auf die Handelnden eine große Rolle. Insofern möchte ich zu einer Art von Bewusstwerdung des Einzelnen beitragen, der dann letztlich nur in der Gemeinschaft seine persönlichen Ziele verwirklichen kann.
MAI 2017
Ausstellungskritik zur Ausstellung „Gesicht und Maske“ auf dem Online-Portal: www.laterne19.jimdo.com/mug
von Hans Brinkmann
(…) Auch Axel Teichmann denkt an Digitalisierung – an Verpixelung, auch an Zensur, wenn er über Identität nachdenkt. Das Unklare, technisch unsichtbar Gemachte ist bei ihm das Gesicht, das wieder hergestellte Bild hingegen die Maske – man hätte es andersherum erwartet. So kommt man ins Grübeln.
Die Welt sei eine Bühne, heißt es bei Shakespeare (in „Wie es Euch gefällt“). Und der Dichter nennt nicht nur die sozialen oder erotischen Maskeraden beim Namen, sondern stellt auch die Menschenalter – Kindheit, Jugend, Erwachsensein, „beste“ Jahre, Greisenhaftigkeit – als Rollen vor, die gespielt werden. (…)
OKTOBER 2015
Katalogtext im Ausstellungskatalog GOTT & DIE LUST ZUR MECHANIK
von Dr. Irmgard Sedler
(…) Axel Teichmann kann aus den Erfahrungen von jenseits der Postmoderne schöpfen, wenn er das Paradigma Mensch – Maschine, Mensch – Technik, Mensch – Erfindung in den Mittelpunkt seiner Kunst stellt. Sein Verdienst ist es, dieses Thema über eine starke bildhafte Präsenz des Technoiden mit Mitteln der tradierten Malkunst ins Zeitalter digitaler Bilderfahrungen überführt zu haben. Auch ist es ihm gelungen, hierbei neue Ansatzpunkte offen gelegt zu haben. Dabei geht es ihm keinesfalls um die gesellschaftlich-ethische, beziehungsweise die religiöse Dimension des erwähnten Verhältnisses, (…), als vielmehr um dessen Indienstnahme im Sinne eines rein künstlerischen Anliegens: Der gesellschaftsimmanente Prozess der Technologisierung des Lebens hin zur Digitalisierung der Realität liefert dem Künstler die Artefakte, welche in seinen Werken als Versatzstücke auftreten. Es geht darin immer wieder um die Frage der Reproduzierbarkeit von Realität – analoger und virtueller – in der Kunst, beziehungsweise um die mystische Dimension des damit verbundenen Kunstprozesses, der seinerseits jene dritte Realität, die künstlerische schafft. In diesen Zusammenhängen gehört auch Axel Teichmanns großdimensioniertes Gemälde „Erlösung“. Ein „Astronaut“ in seltsam altmodisch wirkendem Weltraumanzug hebt in der Pose des Gekreuzigten vom Boden der Realität ab, das Lamm Gottes verfolgt seinen Flug in verpixelter Tablet-Darstellung von unten rechts. Links schwebt ein weiteres „Requisit“ – eine Nebelleuchte – im Raum.
Die Darstellung von Mensch und Objekten changiert zwischen hyperrealistischem Ansatz und optischer, handwerklich malerisch dargestellter Verpixelung. Diese realistische Genauigkeit in der Gestaltung des Astronauten steht im Gegensatz zur traumhypnotischen Atmosphäre des Raumes, in dem die Handlung erstarrt scheint. Atmosphärische wie narrative Kompositionselemente konvergieren hier zum Bild des Kunstraumes, in dem die Jesus/Astronaut-Kunstfigur – Trugbild einer fiktionalen, nie erläuterten Biografie – sein „Leben“ zwischen Real und Avatar, zwischen Welt und Cyberspace entfaltet. (…)
MÄRZ 2015
Katalogtext im Ausstellungskatalog KOORDINATEN
von Dr. Claus Baumann
Technologische Entwicklung und die Koordinaten der Kunst – eine philosophische Anmerkung zu Axel Teichmanns Ausstellung »Koordinaten«
»Il faut être absolument moderne« – diese Losung gab Arthur Rimbaud 1873 seinen kunstschaffenden Zeitgenossen und Zeitgenossinnen mit auf den Weg. Prima facie sind damit die Koordinaten für die Kunstentwicklung vorgegeben: Kunst solle stets auf Augenhöhe mit dem aktuellen Stand der gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung agieren. Ungefähr fünfunddreißig Jahre später scheint der Rimbaud’sche Leitspruch im Programm des italienischen Futurismus radikalisiert zu sein, insbesondere in dessen Utopie einer Verschmelzung des menschlichen Körpers mit der Technik. Diese hat in gewisser Weise heutige Cyborg-Phantasien vorweggenommen. Jedoch erlangte die futuristische Apotheose und Ästhetisierung der Technik schon in der Kriegseuphorie einiger ihrer zentralen Vertreter eine grausame Konsequenz. Spätestens aber mit den hochtechnisierten Weltkriegen, dem industrialisierten Massenmord in Auschwitz und der atomaren Aufrüstung hat sich jeglicher naive Fortschritts- und Technikglaube selbst desavouiert. Hinzu kommt die Befürchtung, dass die technischen Artefakte längst nicht mehr als Mittel fungieren, mit denen wir frei bestimmt und autonom unsere gesetzten Zwecke realisieren können: Vielmehr produziert die technologische Entwicklung immer stärkere »Sachzwänge«, denen wir unterliegen.
Aber ist mit diesen Diagnosen und dystopischen Befürchtungen gleichsam jene Rimbaud’sche Programmatik miterledigt worden – seine Forderung, man solle absolut modern sein? Rimbauds Leitspruch wäre doppelt missverstanden, wenn er im Sinne einer Ästhetisierung technologischer Innovation oder als Forderung einer Unterwerfung der Kunst unter die gesellschaftliche Entwicklung von Wissenschaft und Technik gedeutet würde, als ein beständiges Hinterherrennen der Kunst hinter den technologischen Innovationen. Bestand denn nicht das absolut Moderne der Kunst in ihrem Emanzipationsbestreben gegen jegliche Form von Herrschaft? Die Künste hatten sich erst an der Wende zum 19. Jahrhundert von aristokratischen und klerikalen Diktaten befreit. Sie hatten sich zu einer eigenständigen gesellschaftlichen Sphäre entwickelt und sich als Kunst kollektivsingularisch namhaft etabliert. Insofern wäre eine erneute Unterwerfung unter einen gesellschaftlichen Bereich, nämlich unter Wissenschaft und Technik, ein Rückschritt in ihrer Entwicklung, genauer: ein Verlust ihres gewonnenem Potenzials zur Autonomie. Die Entwicklung der Kunst geriete mit der Unterwerfung unter den Prozess der technologischen Innovation erneut in eine Abhängigkeit, die ihrem eigenen Autonomiebestreben widerspräche – ein Autonomiebestreben für das der Name Arthur Rimbaud als Chiffre steht. Die Kunst wäre in dieser erneuten vollständigen Abhängigkeit gerade nicht »absolument moderne«.
Zwar kann sich Kunst nicht völlig von der Gesellschaft abkapseln, wie dies einige extreme Vertreter und Vertreterinnen des sogenannten l’art pour l’art gefordert haben. Ein solches Unterfangen wäre zum Scheitern verurteilt; Kunst verlöre ihren Bezug zu den gesellschaftlichen Dynamiken, deren innovatives Moment eben auch die technologische Entwicklung ist. Ohne die gesellschaftsdynamischen Impulse würde Kunst zu erstarren drohen. Ist Kunst also dann doch in gewisser Weise abhängig von technologischen Innovationen? Foto-, Film-, Video- oder Internetkunst wären allesamt nicht möglich, ohne die technologischen Voraussetzungen von Foto, Film, Video und dem Internet. Das Verhältnis von Kunstinnovation und gesellschaftlicher Technologieentwicklung muss aber nicht notwendigerweise als Abhängigkeit der Kunst ausgestaltet sein oder entsprechend aufgefasst werden. Autonomie der Kunst bedeutet auf keinen Fall eine Abschottung gegenüber anderen gesellschaftlichen Bereichen; vielmehr kann sich Kunst auf ihre eigenständige Weise zu Wissenschaft und Technik verhalten und sich gerade deshalb eigengesetzlich, also autonom entwickeln.
Mit ihrer selbstständigen Aneignungsweise technischer Innovationen kann Kunst nämlich vorführen, dass andersartige als die üblichen Verwendungen und Einsätze von Technik möglich sind, die vielleicht zunächst nicht entdeckt wurden oder vorgesehen waren, die aber dem Potential technischer Artefakte innewohnen. Damit trägt die Kunst dazu bei, die Rede vom »Sachzwang« als einem objektiven Schein zu entlarven; ein Schein, der die Verwendungsmöglichkeiten und die damit verbundene prinzipielle Möglichkeit einer Wahl von Handlungsoptionen verschleiert. In dieser Entlarvung liegt eines der emanzipatorischen Potentiale von Kunst.
Wenn sich Kunst als ein autonomer gesellschaftlicher Bereich zu technologischen Entwicklungen verhält, dann tut sie dies gemäß ihrer eigenen gewählten Ausdrucksmittel, ihrer eigenen Ausdrucksweise, ihrer selbst gesetzten Verfahrensweise, ihrer eigenständigen Formsprache und Formgesetzmäßigkeiten. Andernfalls stünde sie entweder als Propagandainstrument oder als Auftrags- beziehungsweise als bloße Gebrauchskunst im Dienst der Gesellschaft oder bestimmter Herrschaftsinteressen; sie verlöre insofern ihren Status als eigenständiger Bereich der Gesellschaft – ein Bereich, der sich selbstgesetzmäßig entwickelt. Künstlerische Produktionen könnten damit nicht mehr mit dem Kollektivsingular »Kunst« gefasst werden. Kunst zerfiele wieder in verschiedene Künste, die gemäß verschiedenster Interessen jeweils zweckmäßig eingebunden wären.
Doch ist die Kunst wirklich in der Lage, ganz eigenständig und selbstgesetzmäßig Innovationen zu tätigen? Ja und Nein. Die technologischen Innovationen sind in der Regel nicht von der Kunst selbst hervorgebracht. Kunst kann diese Innovationen lediglich auf ihre Weise aneignen oder darstellen. Nur in der Art und Weise ihrer Aneignung, dem Einsatz, der Verwendung oder auch der Thematisierung und Reflexion neuer Technologien kann Kunst eigenständig und autonom agieren; diesbezüglich kann sie innovativ und originell sein. Als selbstbestimmte Tätigkeitsform ist sie freie Kunst.
Trotz der Tatsache, dass Kunst in der Lage ist, auf ihre Weise noch nicht entdeckte Verwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Alternativen zu beleuchten, ist allerdings die eingangs skizzierte technikpessimistische Einschätzung bezüglich ihrer Grundannahme noch nicht widerlegt. Diese Grundannahme, die auch der Rede vom »Sachzwangcharakter der Technik« zugrunde liegt, besteht darin, dass mit der Verwendung von technischen Artefakten immer schon gewisse »Vorentscheidungen« getroffen seien, bevor wir als ›User‹ – somit auch in der Variante der künstlerischen Aneignung – überhaupt noch in die Lage kämen, eigenständige Zwecke zu setzen. Denn die Komplexität der Technik und ihre eigendynamische Entwicklung würden unsere menschlichen Eingriffsmöglichkeiten immer mehr aushebeln und unsere Zwecksetzungskompetenz mehr und mehr einschränken. Ausgeblendet ist in dieser Diagnose allerdings, dass die Entwicklung von Technik ihrerseits immer schon eingebettet ist, nämlich in gesellschaftliche und kulturelle Verhältnisse. Für die Entwicklung und Durchsetzung bestimmter Technologien sind nicht allein technische Kriterien oder die strukturellen »Pfadabhängigkeiten« ihrer Entwicklung ausschlaggebend, sondern sehr oft Kriterien, die den sozialen, politisch-ökonomischen, rechtlichen oder kulturellen Sphären des gesellschaftlichen Lebens entspringen. Unter dem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Formung der Technik zeigt sich Technikentwicklung nämlich selbst als ein bloßes Teilmoment der gesellschaftlichen Entwicklung: Technikentwicklung ist durchdrungen von politisch-ökonomischen Hegemonie- und Machtkonstellationen.
In der beständigen Revolutionierung der gesellschaftlichen Produktionsweise, gerade auch aufgrund technologischer Innovation, liegt zugleich das Potential gesellschaftlich-gestalterischer Veränderung. Denn diese Revolutionierung unterliegt keinem Determinismus; vielmehr eröffnet sie immer wieder den Raum für Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten. Der reflexive Blick auf diese Revolutionierungen, die jeweils aufs Neue Entscheidungen erforderlich machen, gibt zugleich den Hinweis auf prinzipielle Gestaltungsmöglichkeiten und auf die grundsätzliche Möglichkeit einer Wahl von Alternativen. Diese wiederum weisen auf eine prinzipielle Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Arbeitsorganisation und unserer Lebensweise hin. Dadurch ist implizit auch ein politischer Charakter jedweder Technologie gegeben und mit zu berücksichtigen.
Die konkrete Gestaltung und Veränderung unserer Lebensverhältnisse sind stets gesellschaftlich umstritten und politisch umkämpft. Entsprechend umstritten sind auch die Beurteilungsmaßstäbe der inhaltlich-konkreten Ausgestaltung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhangs. Dies gilt insbesondere für die Beurteilung dessen, was jeweils im konkreten organisierten Arbeitsprozess – sei er hochtechnologisch gestaltet oder nicht – als emanzipatorisch zu gelten habe und was als regressiv oder gar barbarisierend begriffen werden muss.
In diesem Diskurs leistet gerade auch Kunst ihren gesellschaftlichen Beitrag für eine emanzipatorische Reflexion. Künstlerische Produktionen, ihre Aneignung oder Darstellung von Technologie ermöglichen es, die emanzipativen wie auch die destruktiven Potentiale technologischer Mittel zu erschließen oder kritisch zu beleuchten. Aufgrund der eigenen Formgesetzmäßigkeit der Kunst und aufgrund ihres strukturellen »Rätselcharakters« (Theodor W. Adorno) fachen künstlerische Produktionen eine solche Reflexion mit an. Diese Thematisierung ist zwar immer schon eine reflexiv gebrochene, der aber zugleich auch ein emanzipatorisches Potential eignet. Das kennzeichnet ihren Rätselcharakter; es macht ihre Rebus-Struktur aus: Die stets interpretationsoffene, zumeist rätselhafte Struktur der Werke (wozu auch situative wie etwa Happenings zählen) kann die Rezipienten und Rezipientinnen in eine aktiv interpretierende Lage versetzen; eine Lage, die bei ihnen daraufhin einen eigenständigen Wahrnehmungs- und Reflexionsprozess in Gang setzt – dies oftmals auch in Widerspruch zur vermeintlichen oder eventuell wirklichen Intention des Künstlers bzw. der Künstlerin. Damit ist ein über das Werk vermitteltes dialogisches Verhältnis gesetzt und möglich, d.h. eine sachliche Vermittlung von Dialogizität, bei der die Kunst mit ihren spezifischen Ausdrucksmitteln als Medium fungiert, in dem die Rezipienten und Rezipientinnen schließlich als »emanzipative Zuschauer« (Jacques Rancière) bzw. als emanzipative Zuschauerinnen agieren. In diesem Sinne ist die Kunst andersartig diskursiv als beispielsweise die Philosophie. Kunst kann die Technikentwicklung auf eine andere Art und Weise kritisch thematisieren und reflektieren, nämlich gemäß ihrer eigenständigen autonom koordinierten rebusartigen Formbestimmung, ihrer von ihr selbst gesetzten und daher stets veränderbaren Koordinaten.
Axel Teichmanns Ausstellung »Koordinaten« thematisiert »Technik« und »Technologisierung des Lebens« in eben dieser rebusartigen, rätselhaft interpretationsoffenen Weise, bei der die Rezipientinnen und Rezipienten durch ihre Fragen und ihre möglichen Interpretationen aktiv daran teilhaben können, die Werke als Wirkungsgefüge zu realisieren. Die technischen Artefakte scheinen sich in Teichmanns Oeuvre in einer antiquierten Weise zu präsentieren: Angestrengt oder gar überfordert wirkende Personen werden eingespannt zwischen technischen Artefakten und Designs präsentiert – zwischen Artefakten, die im vorigen Jahrhundert noch für Innovation standen, inzwischen aber ein längst Vergangenes repräsentieren. Selbst die Wahl seiner künstlerischen Ausdrucksmittel scheinen gegenüber zeitgenössischer digitaler Kunst antiquiert: das Gemälde, die Grafik und die Skulptur. Doch die graphische ›Verpixelung‹ einiger seiner Bilder und die skulpturalen Darstellungen von Menschen, die sich in niedrig-pixelgraphischer Darstellung nahezu auflösen, scheinen auf die Digitalisierung anzuspielen. Mögliche Fragen drängen sich auf: Ist die bildhaft statische und antifuturistisch anmutende Darstellung überholter Technologie gegenüber der überbordenden Dynamik technologischer Entwicklung, die uns umgibt, vielleicht selbst ein Statement? Ein Statement, das die Autonomie der Kunst bezüglich der Wahl ihrer Ausdrucksmittel betont? Es scheint, als werde in Teichmanns Werken Günter Anders Rede von der »Antiquiertheit des Menschen« persifliert oder gar mit einer »Antiquiertheit der Technik« konfrontiert, die mit ihrer gesellschaftlichen Durchsetzung ja immer schon eine veraltete ist. Erscheint die technologische Entwicklung in Teichmanns Bildern nun als Fluch oder als Segen? Solche oder andere Fragen können aus den Irritationen entspringen, die die Werkbetrachtung möglicherweise hinterlässt – Irritationen, durch welche sich die Rezipienten und Rezipientinnen mit einem Mal in eine aktiv interpretierende Rolle versetzt sehen.
Interpretative Auseinandersetzung macht die Kunst erst zu einer lebendigen. Sie vermag die Sprache der Kunst diskursiv zu realisieren. Sie vollendet die Hervorbringungen des jeweiligen Künstlers bzw. der jeweiligen Künstlerin als lebendige Werke – das heißt: in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit. Die Koordinaten dafür sind in Teichmanns Ausstellung jedenfalls gegeben: Koordinaten einer Dialogizität zwischen der Formsprache seiner Werke und der verbalisierten Sprache der Kritikerinnen und Kritiker sowie der beredten Gedankensprache der Rezipienten und Rezipientinnen.
MÄRZ 2015
Katalogtext im Ausstellungskatalog KOORDINATEN
von Dr. Irmgard Sedler
Im Zeichen von Konstruktion und Destruktion; Axel Teichmann und das Paradigma Mensch – Maschine
„Ihr besonderes Verhältnis zu Revolution, Reaktion und Krieg haben die Eisenbahnen. Wer sie wirklich oder nur ihr Material besitzt, kann ganze Völker regungslos machen.“ Jacob Burckhardt, 1852
„Rühmen will ich Raketen und Projektile, Protonen und Elektronen, rühmen Uranen und rühmen die Energie, der die Hand des Menschen zu seinem Dienste die Freiheit zurückgab.“ Werner Bergengruen, 1950
Das in der Ausstellung zusammengeführte malerische Werk Axel Teichmanns der letzten Jahre kreist mit beachtlicher Konzentration um das gesellschaftlich wie kulturell spätestens seit der Industriellen Revolution stets akute Thema des Verhältnisses des Menschen zu seiner eigenen schöpferischen Kraft, speziell als technische Erfindung.
Aus der Position des Künstlers heraus, dem die Rolle als Lieferant für neuen Sinn und Bedeutung im zeitgenössischen gesellschaftlichen Diskurs zusteht, geht Teichmann den Diskurs auf eigene Weise an. Er tut dieses im Wissen um die Komplexität dieses an Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit so reichen Verhältnisses und in der Kenntnis jener über die Tradition „vorgefertigt“ vermittelten Sichtweisen auf dieses Thema. Seine Position gründet nicht zuletzt auf dem Vorzug des „Spätgeborenen“, der auf die Welt-Erfahrungen von jenseits der Postmoderne zurückgreifen kann. Sein Verdienst ist es, die Thematik Mensch – Maschine, Mensch – Erfindung mit bildhaft starker Präsenz ins Zeitalter des Digitalen überführt und hierbei neue Ansatzpunkte offen gelegt zu haben, die weniger im Sinne der ethisch-gesellschaftlichen Wertung dieses Verhältnisses zu verstehen sind als vielmehr in metaphorischem Sinne im Dienste eines Kunstanliegens stehen: Die Kunst und ihre „Wahrhaftigkeit“ im Umgang mit dreidimensionaler oder aber virtuell eindimensionaler „Realität“. In diesem Zusammenhang greift Teichmann selbstbekennend das Dilemma von Kunst und ihrer Reproduzierbarkeit von Realität auf, wie es in seiner Zeit René Magritte schon formuliert hat und wie es sich heute beim Ineinanderfließen von faktischer und virtueller Welt noch viel komplizierter als vor hundert Jahren darstellt.
Axel Teichmann bedient sich auf formaler Ebene durchgängig dieser Topoi des Technischen und Technoiden. Auch sind ihm die tradierten Interpretationsstränge dieses Verhältnisses – hier die fortschrittsbejahende Euphorie angesichts der in ihrem positiven Potenzial begriffenen technischen Erfindungen, dort die endzeitvisionäre Angoisse vor der menschenbeherrschenden Maschinenmacht – keineswegs fremd. Es finden sich in seinen Werken, vielfach in narrativ anmutende Zusammenhänge gesetzt, die symbolhaft beladenen, für die jeweilige Position zur Chiffre geronnenen Objekte des Technoiden –Telefon, Eisenbahn und Luftschiff der Anfänge („Auftrieb“), Rakete, All und Astronaut („Schräglage“), Bildschirm und Cyberspace („Kreuzung“), welche oft in einer Art Sampling zusammen agieren („Siehst Du mich?“) oder aber mit religiöser Pathosformel zusammengehen („Erlösung“).
All diese Objekte werden als Versatzstücke – sowohl der realen als auch der virtuellen Welt – von Axel Teichmann scheinbar ganz willkürlich kombiniert und in seinen unverwechselbaren, scheinbar aus Raum und Zeit herausgehobenen Kunst-/Traumräumen beliebigem Personal zugeordnet. Ihnen allen, Objekten wie menschlichen Bildprotagonisten ist eine Kühle und Entrücktheit, eine Starre bar jeglicher Emphase eigen, die auch den Betrachter gewollt auf Distanz hält, ihm, einerseits, Rätsel in Bezug auf das Bildgeschehen aufgibt und ihm, andererseits, einen großzügigen Interpretationsraum offen lässt.
Mit dieser Haltung unterläuft Axel Teichmann die Schwere jener überlieferten Bedeutungshaftigkeit, die diesen Objekten kulturgeschichtlich zugewachsen ist. So wollen die Drachenflieger („Auftrieb“) des Künstlers auch keine heilbringenden „Eliaswägen“ (Gottfried Keller) sein, die den Menschen göttergleich erheben; seine Raketen beschwören keinen nuclear blues (Carl Zuckmayer) als Endzeitstimmung herauf, wenn sie sich durch Magenta-rote „Landschaften“ emporschwingen und auf Jägerstände treffen („Neuland“); und schließlich sind die heraufbeschworenen tiefroten „Baumlandschaften“ auch nicht als Gegenstücke zu „verstaubten Zementwelten“ (Berthold Brecht) ins Bild gesetzt und schon gar nicht als verstrahlter Lebensraum infolge jener Dangerous Liaison zwischen Mensch und Atomkraft, wie sie Wystan Hugh Auden schon 1947 zum Thema seiner Dichtung (The Age of Anxiety) machte. Letztlich sind Teichmanns kahle Baumgruppen („wo bin ich?“) weiter nichts als Anmutungen des Real-Landschaftlichen, Wunschspiegelungen des Natürlichen in einem virtuell/technoid generierten „Landschaftsraum“, dem die natürlichen Koordinaten verloren gegangen sind.
So sehr der Künstler bemüht ist, die eigene Emotionalität und Befindlichkeit hinter dem oft als Scharade intendierten „Bildnarrativum“ im Zeichen des Entpersönlichten, Maschinell-Automatisierten zu verbergen, so überlässt er hin und wieder der Ironie das Schlachtfeld. Indem er ganze Werbezitate („Austausch“) oder aber mathematisch-astronomische Formeln und Skizzen, die souverän den Anspruch auf „Welterklärung“, Raumorientierung und Kommunikationshoheit deklarieren, in seine Kompositionen mit einbezieht, führt er uns deren Wirkungslosigkeit vor. Als räumliche, moralische oder aber technische Gesellschaftskoordinaten taugen sie nichts in einer Welt, in der Real und Virtuell immer enger zusammenfließen („Kreuzung“), so das Mensch und Tier die Entgrenzung/Orientierungslosigkeit nur im hypnotischen Zustand, im Traum oder in der Imponderabilität – sicher aber mit Hilfe der Kunst – zu bewältigen vermögen („Selbstdenker“, Seite 45; „Erlösung“, Seite 25; „Der Traum des Astronauten“; „Imponderabilien“).
Folglich treten einem auch die Figuren in Teichmanns Bilderwelten seltsam fern, als Traumfiguren aus einer anderen Dimension entgegen. Sie tragen selten individuelle Züge und treten meistens als Typen und Rollenträger (Astronaut, Schweißer, Revolutionär, Büromensch) auf: In ihrer Künstlichkeit als Zwitterwesen zwischen Mensch und Automat verleihen sie der ganzen Szenerie immer auch etwas Unheimliches im Sinne vom Lebendig-Totem oder aber Tot-Lebendigem. Überhaupt zieht sich das Unheimliche als ein Grundempfinden durch das ganze Werk dieses Künstlers. Ein Echo von pittura metafisica bleibt spürbar.
Auch stilistisch nimmt Axel Teichmann Anregungen seines Vorbildes René Magritte auf. Seine Acrylgemälde setzen bewusst auf das Gegenständliche, auf die Darstellung des Objektes in seiner ganzen plastischen Wahrnehmung. Dieses geschieht allerdings weniger surrealistisch als hyperrealistisch (Astronautenkostüm, Tapeten, Kleidung). Die glatten Oberflächen, die verschlossene aber detailgetreu nachvollzogene Mimik, die traumhypnotische Raumatmosphäre konvergieren zum Bild des Kunstraumes, in dem Kunstfiguren – Trugbilder einer fiktionalen, nie erläuterten Biographie – ihr „Leben“ zwischen Real und Avatar, zwischen Welt und Cyberspace, entfalten. Mit dem Kunstgriff der Verpixelung, die allerdings handwerklich-malerisch ins Bild gesetzt wird, übt der Maler nicht nur die Zerlegung der Figuration oder aber schafft eine figurative Chiffre des Digitalen, sondern vereinnahmt und konvertiert die Technik des Auflösens zu einem Symbol des Kunstaktes. Sie steht für die Osmose von Real und Virtuell und deren Transport ins Künstlerische.
Inhaltlich kongruent, stilistisch jedoch abweichend von den Gemälden, verströmen die zeichnerischen Räume im Werk Axel Teichmanns über sorgfältig gesetzte Schraffuren und kontrollierte Strichsetzung ihre Aura kalter Ästhetik.
MÄRZ 2011
Katalogtext im Ausstellungskatalog SCHRÄGLAGE
von Ludwig Laibacher
Schräglage
Mensch. Maschine. Künstliche Intelligenz. Der Supercomputer „Watson“ hat in der amerikanischen Quizshow Jeopardy zwei Menschen besiegt. Schnell wurde dieses Ereignis zu einem epochalen Sieg der künstlichen Intelligenz über das menschliche Gehirn gefeiert. Und wieder einmal schien es, als würden sich die Menschen nur allzu gern geschlagen geben. Nach Ansicht von Fachleuten besteht jedoch auch diesmal kein Anlass, sich vor dem neuesten Golem zu verneigen. Der elektronische Herausforderer konnte nur gewinnen, weil es ihm hin und wieder gelang, seine rein quantitative in eine qualitative Fähigkeit umzuwandeln – im Grunde handelt es sich nur um eine Monstersuchmaschine. Das IBM-Gerät ist weit entfernt von echter Intelligenz. Wie seinen längst wieder vergessenen Vorläufern fehlt auch Watson ein entscheidendes Moment: die Fähigkeit zur Sprache. Der Rummel um Watson verweist auf einen Grenzbereich, von dem Axel Teichmanns Arbeiten seit langem erzählen. Sein Experimentierfeld sind die avancierten Wissenschaften der letzten Jahrhundertwende und sein Forschungsobjekt ist der Mensch, der sein altes Rollenverständnis verloren hat – und damit scheinbar auch seine Sprache. Ganz gleich wie viele Personen sich auf einem Teichmann-Gemälde befinden und egal, ob sie sich auf der Erde oder im Weltall, in einem Katastrophengebiet oder im Virtuellen befinden, sie scheinen in ihren Aktionen gelähmt und ihrer Ausdrucksmöglichkeiten beraubt. Auch wenn es Hinweise auf eine vermeintlich bekannte Lebenswelt gibt – das häusliche Wohnzimmer, die Sporthalle oder das Labor – dieser Raum bleibt fremd und die Luft dort scheint nicht die übliche, verträgliche Zusammensetzung zu haben. Wurde ein unbekanntes Gas hinzu gegeben? Geht der Sauerstoff aus? Die zentrale Irritation, die von Teichmanns Bildern ausgeht, ist die Atmosphäre einer erstickenden Lautlosigkeit.
Sportler. Techniker. Astronaut. Immer versucht sich Teichmanns Personal in Rollen. Es ist das ins 21. Jahrhundert gewendete Ballett aus Marcel Duchamps Junggesellenmaschine: statt Richter, Soldaten oder Juristen aber marschieren hier Techniker, Sportler, Models oder Weltraumfahrer auf. Aber bei Duchamp ging es um die Macht, die autoritäre Vorschriften erlässt, gesellschaftliche Notwendigkeiten erfindet und streng deren Einhaltung kontrolliert; es ging um die Reduktion auf Typen, den Verlust des Menschseins. Seither hat sich die Situation verschärft. Der zeitgenössische Mensch hat das Kontrollmoment verinnerlicht, er ist sein eigener Richter und sein oberstes Ziel ist die Erfüllung sinnentleerter Abläufe. Aber so sehr er sich auch anstrengt, mit welchen Phänomenen er sich auch messen will, er schafft nur ein Ungenügend. Er kann nicht einmal mehr die Rollenmuster erfüllen, die er sich selbst gegeben hat. Die Porträtierten in Teichmanns Gemälden sind von dieser Krankheit gezeichnet, sie fühlen ein Scheitern, noch bevor sie mit etwas begonnen haben.
Natur. Katastrophe. Archaik. In Bildern wie „Vulcanus“ (2007) oder „Ausbruch“ (2010) wird deutlich, dass Teichmanns Kunst in einer Science-Welt, nicht aber in einer Science-Fiction angesiedelt ist. Viel näher als eine wie immer geartete Zukunft, scheint eine archaische Frühwelt zu sein. Die Geschichte beschreibt einen Kreis. Vulkane explodieren und lassen das Zivilisatorische lächerlich erscheinen: ein Mann müht sich mit der Lava ab, als könnte er die Eruptionen wie die Glut auf einem Tischgrill beherrschen. Als Motiv kehren Segen und Fluch des Feuers und der feuerspeiende Berg im Werk „Ausbruch“ wieder. Während auf einer Bildebene ein Uniformierter das Feuer durch verschiedene Zeitalter trägt, (im Hintergrund angedeutet durch Höhlenzeichnungen und Reste christlicher Mosaiken), bewegt sich auf einer zweiten Ebene ein Astronaut weg von der Erde, um vermeintlich die irdische Fortschrittsgeschichte ins All fortzuführen. Vor ihm aber befindet sich ein Vulkan – unklar, ob er die Herkunft oder das Ziel des Raumausflugs markiert.
Körper. Psyche. Traumfigur. Doch Teichmanns Zeitdiagnose verharrt nicht in der meist von männlichen Wesen repräsentierten Sphäre von Technik und Weltbeherrschung. Um den Kampf zwischen Ideal und Wirklichkeit, zwischen Ego und Imago zu veranschaulichen, hat er sich kunstvolle Anleihen bei Mode und Sport erlaubt. Entstanden sind so schillernde Vexierbilder. Auch hier geht es zuerst um Stereotypen, allerdings gesteht er ihnen über das Uniforme hinaus das Erregende körperlicher Kraft oder die Ausstrahlung sinnlicher Reize zu. Den Männern (Piloten, Wissenschaftler, Büroangestellte) gesellen sich Frauen zu und den Frauen seltsame Doubles. Sie verlieren sich in ihrem fotografischen Abbild oder im Second Life. In „Das Original“ (2010) etwa löst sich die Rückenansicht einer Schönen in das blasse Pixelraster einer Digitalkamera auf. „Jetzt“ (2010) zeigt eine Kunstturnerin beim Salto. Während sie gegen die Schwerkraft kämpft, löst sich der Raum um sie herum in bloße Raster und Linien auf. Weiter fortgeschritten ist der Prozess dagegen in „Virtuelle Figur“, wo eine Blondine ihre Körperlichkeit einbüßt. Gehalten wird sie nur noch von geometrischen Figuren, während sich ihre Arme und Beine schon in Algorithmen verwandelt haben.
Im Bild „Schräglage“ (2011), das der Ausstellung ihren Titel gab, scheinen alle Koordinaten restlos durcheinander geraten. Hier führt Axel Teichmann ganz viele Motive zusammen. Wir begegnen dem Astronauten, dem Vulkan, dem marginalisierten Menschen. Mit dem Unterschied, dass der Betrachter nun von einem nicht näher bestimmten Außerhalb auf ein Treiben schaut, dem etwas Kindlich-Kindisches anhaftet. Die Welt ist nur noch eine Spielzeugwelt. Wo Erde war, ist nur noch Mond, wo „Center“ steht, ist namenlose Peripherie.
JUNI 2010
Katalogtext im Ausstellungskatalog UTOP
von Vera Schuck M.A.
UTOP
»Nichts altert schneller als die Utopie.« (1)
Der Mensch war noch nie befreit von Träumen, Illusionen und Utopien. Stets befand er sich auf der Suche nach dem Besseren, Schöneren, und er konstruierte sich Umgebungen, in denen diese Vorstellungen teilweise Wirklichkeit werden konnten. Heutzutage erreicht er dies unter anderem durch die Erschaffung digitaler Welten, die immer deutlicher das Rätsel um die Natur des Menschen hervortreten lassen: seine natürliche Künstlichkeit.
Der Begriff »Utopie« steht für eine »nicht realisierbare Idee, einen Zukunfts-, und Wunschtraum« (2), der sich oft nur ansatzweise erfüllt. Eine Utopie kann auch verstanden werden als eine Illusion, aber auch als eine Vision von etwas. Die gesamte Kultur der Menschheit beruht unter anderem auf Visionen und Zukunftsträumen.
Axel Teichmanns Kunst greift diese Zusammenhänge auf und hinterfragt die über den so genannten Fortschritt entstandenen »Errungenschaften« der Menschheit – insbesondere die Rolle der Technik und der Wissenschaft. Er präsentiert dem Betrachter faszinierende Bildlandschaften, perfekt inszenierte Szenerien, welche in sich abgeschlossen, klar und eindeutig erscheinen. Doch bei näherem Betrachten kommen Zweifel und Skepsis auf: Was genau machen die abgebildeten Personen? Wovon werden sie in ihrem Handeln beeinflusst und welche Ziele verfolgen sie eigentlich? Und: Wo trifft sich die vom Künstler erschaffene Welt mit der sinnlich-erfahrbaren Welt? Obwohl die rastlosen und in Arbeit versunkenen Personen sehr stark und zielstrebig erscheinen, wirken ihre Aktionen insgesamt sinnentleert, unbegreiflich und fragwürdig. Der Künstler pointiert mit seinen Bildern eine Lebensfrage, welche sich in der heutigen Zeit sehr vielen Menschen aufdrängt: Wofür tun wir das, was wir tun?
Die augenscheinliche Sinnentleertheit, welche sich in zahlreichen Lebensbereichen des modernen Menschen wie ein schwarzer Schatten auf das Gemüt legt, bricht in Teichmanns Werken vulkanisch und desaströs auf. Die geglaubte Freiheit und Selbstbestimmung wird zur Farce und verhöhnt all jenes, wofür Generationen noch mit Herzblut kämpften. So stehen Teichmanns Personen metaphorisch für die Vereinzelung und Überforderung des Menschen in der heutigen Zeit. Der Raum, den sie sich selbst erschufen, beginnt sie zu erdrücken. Der Philosoph Maurice Blanchot formuliert dies wie folgt: »Jeder (…) hat sein eigenes Gefängnis, aber in diesem Gefängnis ist jeder frei.« (3)
Und so lässt sich der im Gemälde abgebildete Wachmann vom Spiel mit einer Rakete ablenken und bemerkt nicht die drohende Gefahr eines Überfalles. Auch bei dem Bild »Utop« ist nicht klar, ob die Gefahr schon vorüber ist und die Situation von den Personen in gelben Anzügen unter Kontrolle gebracht wird, oder ob der Rauch erst die Bedrohung mit sich bringt. Die Helfer scheinen komplett in ihr Tun vertieft zu sein.
Interessant sind auch hier Details, die der Künstler wirkungsvoll einsetzt: am Hosenbund fixierte Kabel, die keinen Hinweis auf eine Verbindung mit etwas liefern, und die roten, wehenden Fahnen, die zusammengesetzt das Wort »Utop« erkennen lassen. Der Betrachter vermutet eventuell, dass dies ein Ausschnitt des Wortes »Utopie« sein könnte. Er ist eingeladen, seinen Blick wandern zu lassen, und vermisst auch hier innerhalb dieser Szenerie das Fehlen eines Anlasses zum Handeln. Es ist bemerkenswert, wie Axel Teichmann bei einigen seiner Werke unterschiedliche Versionen vollendeter Utopien kreiert und auf ästhetischer Ebene Endszenarien durchspielt – gekonnt und radikal. Sehr deutlich ist dies bei den Bildern »Ausbruch« und »Vulcanus« zu sehen. Der Künstler greift vorweg, was der Betrachter sich nur ansatzweise getraut vorzustellen: Chaos, Dekonstruktion und Verwirrung. Dabei setzt er gekonnt seine malerische Virtuosität ein und verblüfft nicht nur durch den Einsatz graphischer Elemente, sondern auch durch überraschende Farbkompositionen und Formspiele.
Teichmanns Bilder zeigen jedoch nicht nur Endszenarien. Er malt Figuren, welche Anmut besitzen, und in ihrer Umgebung Würde ausstrahlen. Der Betrachter blickt in wache und erwartungsvolle Gesichter. Er wird konfrontiert mit einer Schönheit, die unnahbar und vollkommen wirkt; zum Beispiel in dem Bild »Virtuelle Figur« und »Figur im Störraum«. Herausgelöst aus dem Kontext Werbung präsentieren sich selbstbewusste Frauen, welche Stärke in sich tragen und dadurch unangreifbar wirken. Auch sie begleitet eine Aura von Perfektion. Teichmann spielt besonders in diesen Bildern mit unterschiedlichen Formen der Digitalisierung und lässt Figuren in virtuelle Räume eintauchen. Auf dem Bild »Das Original«, auf dem eine weibliche Figur zu sehen ist, weiß der Betrachter nicht, wer die Digitalisierung vorgenommen hat und welches das Abbild und welches das Original darstellt. Der Künstler erzeugt Spannung, da er Gewohntes in andere Zusammenhänge bringt.
Die Bilder des Künstlers lassen den Betrachter auch zum Entdecker werden. Im Bild »Der Passagier« wird man von dem schelmischen Ausdruck des Passagiers verblüfft und stellt fest, dass dieser einen Papierflieger in der Hand hält – zum Wurf bereit. Axel Teichmanns Werke zeigen eine große Vielfalt von Szenarien. Sie sprechen nicht nur die Sinne, sondern auch unser ethisches Bewusstsein an. Es geht letztlich nicht um die Frage nach dem Sinn des Tuns, sondern um Folgendes: Wofür trägt der Mensch als Einzelner Verantwortung?
Teichmanns Kunst lädt nicht nur zur Reflexion über diese Thematik ein, sondern zwingt den Betrachter, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dieser ist gefragt, über seine Rolle in der Gesellschaft zu sinnieren. Er soll sich Gedanken über sein Wirken machen und über die Zukunft der Natur und deren Bedingungen nachdenken – aber auch handeln.
Axel Teichmanns Bilder sind eine Chance, alte Wege und Muster zu überdenken. Noch besteht die Möglichkeit zu einem neuen Bewusstsein, in dem Handeln wieder Sinn bekommen kann und sich Lebensfreude und Mut zur Verwirklichung kreativer Potentiale, natürliche Schönheit und Ästhetik im Alltag manifestieren können.
(1) Sommer, Tim: art Magazin Januar 2010.
(2) Duden: Herkunftswörterbuch. F&A Brockhaus 2007.
(3) Blanchot in Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen. His Verlag 1997, S.120.
JULI 2008
Katalogtext im Ausstellungskatalog MASCHINE.MACHT.MENSCH.
von Dr. Barbara Sutter
MASCHINE.MACHT.MENSCH.
Der die Arbeiten von Axel Teichmann durchdringende Topos ist der Mensch in künstlichen Umgebungen – in Umgebungen, die obgleich durch menschliche Handlungen geschaffen, durch sie nicht mehr beherrschbar scheinen. Seien es Situationen sportlichen Wettkampfs, Szenarien technischer Bedrohung, Sequenzen individueller Selbstentwürfe – immer wieder schlägt dem Individuum das eigene Streben nach der Beherrschung der inneren und äußeren Natur als eine Macht entgegen, die es selbst nicht mehr kontrollieren kann.
So wird der Sportler, den Axel Teichmann in der Figur des Boxers, des Sprinters, des Fußballers zum Sujet seiner Arbeiten macht, zwar insofern ganz zum Herr seiner selbst, als er über absolute Körperbeherrschung verfügt, dem jedoch die Konfrontation mit den Vorgaben und Anforderungen sportlicher Wettkämpfe gleichsam als zweite Natur gegenüber tritt. Dieser zweiten Natur ist das Individuum ausgeliefert: Die Selbstbeherrschung wird durch die Konstellation kompetitiver Arrangements, wie sie für den Sport typisch sind, zum Selbst-Zweck – inhaltslos und auf die Strukturen des Kampfes beschränkt. Gleichzeitig übt der Kampf die eigentliche Faszination des Sports aus: als Kampf des Individuum gegen sich selbst in der Form fortdauernder Selbstdisziplinierung, als Kampf gegen andere als Konkurrenz um das höhere Maß an ebensolcher Disziplinierung. Diese Faszination ist es denn auch, die Axel Teichmann in seinen Bildern thematisiert ( „Sprint“, „Ohnmacht“, „Kontrollverlust“, „Zweikampf“ ).
Während in diesen Bildern die Beherrschung einer inneren Natur im Vordergrund steht, fokussiert ein anderer Teil von Axel Teichmanns Bildern die Beherrschung der äußeren Natur und ihre Folgen. Der Wunsch, sich die Erde Untertan zu machen, sie durch Berechnung zu beherrschen und zum eigenen Nutzen zu instrumentalisieren, übermannt das Individuum – den Auswirkungen ihren eigenen Tuns stehen die Protagonisten hilflos, ja verständnislos gegenüber. „Die Maschine hat den Piloten abgeworfen; sie rast blind in den Raum.“ (Max Horkheimer) – Diese verstörende, ja zerstörende Erfahrung des modernen Menschen ist ein immer wiederkehrendes Motiv ( „Vulcanus“, „Bumm Bumm“, „Unfall“, „Störfall“ ).
Auch die Ambiguität des Versprechens individueller Freiheit ist ein Topos der Arbeiten. Die Möglichkeit von Individualität wird zur Zumutung – sich als unverwechselbares Wesen zu inszenieren wird, obgleich unabweisbare Forderung an das zeitgemäße Individuum, zur unabschließbaren Aufgabe, an der das Individuum nur scheitern kann: Immer trifft es auf Erwartungen, die es nicht erfüllen kann, und Kategorien, die es auszufüllen hat. Stets stößt es auf Schablonen, in die es sich einzupassen gilt ( „Schaufensterpuppe“ ). Ebenso betrifft dies die Mobilität, die in einer globalisierten, medialisierten Welt zwar geboten scheint, doch in Richtung und Geschwindigkeit den Einzelnen streng vorgegeben ist. Wenn die Suche nach eigenen Rhythmen, eigenen Strukturen diesen Restriktionen auch widerständig werden kann, so wirkt sie doch merkwürdig antiquiert und so auch immer diskreditiert ( „Bewegung“, „nach innen“ ).
Es sind diese Ambivalenzen von Freiheitsgewinnen und aus ihnen resultierenden Zumutungen, die das Werk von Axel Teichmann prägen und den Stil seiner Arbeiten bestimmen. Wie die Sujets seiner Bilder so irritiert auch der Stil der Gemälde: Wenngleich gegenständliche Elemente die Bilder dominieren, so sind sie durch visuelle Verfremdungen gebrochen. So treten etwa Farbflächen auf, die keiner logischen Gegenständlichkeit zuzuordnen sind ( „DING“, „in arbeit“ ). Derartige Brüche mit dem figurativen, mimetischen Malstil sind Eingriffe in ein rationales Raum- und Objektverständnis, die den Umschlag der Rationalität markieren. Mithilfe dieser visuellen Erfindungen erreichen die Bilder zweierlei: Während sie einerseits einen Bezug zu real existierenden Menschen, Gegenständen oder Landschaften verlieren, gewinnen sie andererseits Zugang zu den Emotionen ihrer Rezipienten – zum vermeintlich Irrealen, Irrationalen. Nicht nur diese Ergänzungen sind das Bemerkenswerte an Axel Teichmanns Stil, auch sein Umgang mit der Gegenständlichkeit selbst ist instruktiv: Durch eine ausgeprägte Metaphorik verliert sie ihre ursprüngliche und durch ein geschultes Sehvermögen tradierte allgemeine Aussage. Verstärkt wird dieser Effekt durch ein Kontrastsystem, das auf der Spannung von fein ausformulierten Bildanteilen und gestischen, schnell aufgetragenen Farbschichten („Ohnmacht“, „stЪrfall“ ) sowie von abstrakten Flächen und plastischen Objekten oder Figuren basiert ( „Himmel“, „Zweikampf“, „Sprint“, „Aussicht“, „bedroht“ ).
Maschine, Macht, Mensch sind die Elemente einer Trias, die Axel Teichmann auf diese Weise bearbeitet, um Irritationen angesichts der so sicher geglaubten Ordnung der modernen Welt zu provozieren.